Hospitalismus
Quelle : https://medlexi.de/Hospitalismus
Der Hospitalismus kann verschiedene Formen annehmen. Früher wurde er auch als Deprivationssyndrom bezeichnet und fasst alle negativen psychischen oder körperlichen Langzeitfolgen eines Heim- oder Krankenhausaufenthalts zusammen. Grundlegend ist der Hospitalismus aber bedingt durch eine mangelhafte Betreuung in oben bezeichneten Institutionen.
Was ist Hospitalismus?
Der Begriff des Hospitalismus fasst in der Medizin verschiedene negative Folgeerscheinungen einer längerfristigen stationären Unterbringung zusammen. Alternativ wird der Hospitalismus beispielsweise bezeichnet als emotionales Frustrationssyndrom oder Separationssyndrom.
Je nach auftretenden Symptomen kann unter anderem zwischen physischem (körperlichem) und psychischem Hospitalismus unterschieden werden; zu den möglichen Symptomen eines physischen Hospitalismus zählen etwa Rückbildungen der Muskulatur, Einschränkungen der Beweglichkeit oder Thrombosen (Blutgerinnungen). Als Symptome eines psychischen Hospitalismus können beispielsweise depressive Verstimmungen, stereotype Bewegungen (wie etwa ein Wippen oder Schaukeln mit dem Oberkörper) oder Autoaggressionen (aggressive Handlungen gegen sich selbst) auftreten.
Der Hospitalismus kann altersunabhängig auftreten. So können beispielsweise Menschen jedes Alters nach längerem Krankenhausaufenthalt betroffen sein. Ebenso ist der Hospitalismus aber auch zu finden bei einigen Kindern oder älteren Menschen, die in Kinderheimen bzw. Altenpflegeheimen untergebracht sind bzw. waren.
Ein psychischer Hospitalismus ist meist bedingt durch Faktoren wie mangelnde emotionale Zuwendung, fehlende Beschäftigungsangebote und das Fehlen von akustischer und optischer Stimulation (wie beispielsweise durch Musik, Farben oder Bilder).
Ursachen
Mögliche Ursachen eines Hospitalismus sind vielfältig und unterscheiden sich je nach auftretenden Symptomen. Physischer Hospitalismus wird meist verursacht durch fehlerhafte bzw. unzureichende pflegerische Maßnahmen während der Lagerung/längerfristigen Unterbringung eines Menschen.
So können etwa bei bettlägrigen Patienten körperliche Schädigungen hervorgerufen werden durch ein zu seltenes körperliches Umlagern, mangelnde hygienische Maßnahmen und/oder fehlende krankengymnastische Übungen.
Ein psychischer Hospitalismus ist meist bedingt durch Faktoren wie mangelnde emotionale Zuwendung, fehlende Beschäftigungsangebote und das Fehlen von akustischer und optischer Stimulation (wie beispielsweise durch Musik, Farben oder Bilder). Auch offene Ablehnung durch betreuende Menschen kann psychischen Hospitalismus begünstigen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptome des Hospitalismus sind vielfältig und umfangreich. Sie können von Fall zu Fall variieren. Ausschlaggebend ist auch das Alter des Betroffenen. Besonders häufig sind seelische Störungen wie Angstzustände, Depressionen, Suizidgedanken, Borderline-Persönlichkeitsstörung, passive Grundstimmung, Teilnahmslosigkeit bis zur Apathie, mangelndes Selbstbewusstsein, autoaggressives Verhalten und Resignation.
Aus seelischen Störungen resultieren oftmals Störungen im Sozialverhalten. Die Betroffenen entwickeln Bindungsängste, Anpassungs– sowie Kommunikationsstörungen und können zu aggressivem Verhalten sowie mangelnder Körperhygiene neigen. Zudem sind sensorische Störungen wie ein verändertes oder verzögertes Schmerzempfinden, Berührungsängste oder Hypersensibilität möglich.
Häufig treten kognitive Störungen auf. Die Betroffenen haben oft Lernstörungen, aber auch Wahrnehmungsstörungen. Selten kann es zu Gedächtnislücken oder sogar zum Verlust von Lang- oder Kurzzeitgedächtnis kommen. Auch zeigen sich bei den Betroffenen in vielen Fällen motorische Störungen wie etwa monotone Bewegungen und Stereotypien (zum Beispiel Kopf an die Wand schlagen) oder eine stark verminderte Reaktionsfähigkeit.
Ein weiteres Symptom des Hospitalismus kann eine gestörte Wundheilung durch Bettlägerigkeit sein. Bei betroffenen Kindern kommt es außerdem in einigen Fällen zu Entwicklungsverzögerungen (zum Beispiel Minderwuchs oder auch kognitive Defizite) und verstärktem Daumenlutschen. Sie entwickeln ein mangelndes Gefühl von Geborgenheit und ein gestörtes Urvertrauen, das sich mitunter massiv auf die weitere Entwicklung des Kindes auswirken kann.
Diagnose & Verlauf
Zu diagnostizieren ist Hospitalismus beispielsweise anhand typischer, auftretender Symptome eines Betroffenen und einer Krankengeschichte mit mindestens einem längeren stationären Aufenthalt. Allerdings kann physischer Hospitalismus meist einfacher diagnostiziert werden, da körperliche Symptome eindeutiger bestimmten Einflussfaktoren zuzuordnen sind. Eine klare Verbindung psychischer Symptome mit bestimmten Einflussfaktoren gestaltet sich in der Regel schwieriger.
Der Verlauf des Hospitalismus ist individuell verschieden und hängt von verschiedenen Faktoren ab: Eine Rolle spielen etwa die physische/psychische Konstitution eines Betroffenen, der Zeitraum, für den ein Betroffener dem schädigenden Einfluss ausgesetzt war/ist und die Ausprägung der auftretenden Symptomatik.
Bei frühzeitiger Intervention ist ein annähernd vollständiges Abklingen entsprechender Symptome möglich. Langwieriger kann sich der Verlauf des Hospitalismus gestalten, wenn sich beim Betroffenen bereits schwerwiegende psychische/physische Folgeerkrankungen eingestellt haben. Hier ist es möglich, dass durch Interventionen zwar eine Symptombesserung, aber keine vollständige Heilung eintritt.
Komplikationen
Durch den Hospitalismus kann es sehr unterschiedlichen Beschwerden und Symptomen kommen, an welchen der Patient im schlimmsten Falle versterben kann. Der Todesfall tritt in vielen Fällen dann auf, wenn Behandlungen und Pflege mit einem niedrigen Hygienestandard durchgeführt werden und es dann zu Entzündungen und Infektionen kommt. Der Betroffene leidet dabei in der Regel an Gewichtsverlust und an einer Appetitlosigkeit.
Hinzu kommen noch Nebenwirkungen von eventuell eingenommenen Medikamenten. Auch der psychische Zustand des Patienten wird durch den Hospitalismus eingeschränkt, sodass es zu einer Verwirrtheit, zu Panikattacken und zu Depressionen kommt. Aufgrund der mangelnden Bewegung im Krankenhaus kommt es auch zu einem Muskelschwund und damit zu einer verringerten Belastbarkeit des Patienten. Die Lebensqualität nimmt durch die Beschwerden erheblich ab und der Betroffene fühlt sich krank.
Der psychische Zustand kann sich auch weiterhin verschlechtern, wenn es bei der zugrundeliegenden Krankheit nicht zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt und diese nicht richtig geheilt werden kann. In der Regel verschwinden die Beschwerden relativ schnell, wenn die Ursachen des Hospitalismus behandelt und entfernt werden können. Komplikationen treten dann auf, wenn keine Behandlung stattfindet. Hierbei kann es weiterhin zum Tode des Patienten kommen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Wenn Symptome wie Appetitlosigkeit, Apathie und Persönlichkeitsveränderungen bemerkt werden, ist ärztlicher Rat gefragt. Der Hospitalismus tritt immer im Zusammenhang mit einem Aufenthalt im Krankenhaus auf. Darum sollte beim Auftreten der genannten Symptome mit den behandelnden Ärzten gesprochen werden. Meist werden die notwendigen Hilfemaßnahmen bereits vor der Entstehung ernster Beschwerden geleistet. Sollten sich akute Symptome einstellen, muss das Pflegepersonal informiert werden. In Zusammenarbeit mit dem zuständigen Arzt können geeignete Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, um den Leidensdruck des Betroffenen zu verringern.
Bei körperlichen Beschwerden ist eine weitergehende Behandlung erforderlich. Etwaige Geschwüre müssen untersucht und gesäubert werden, und Infektionen bedürfen einer raschen medikamentösen Behandlung. Unabhängig davon, ob der Patient selbst oder eine Pflegekraft diese Symptome bemerkt, ist eine sofortige ärztliche Behandlung erforderlich. Der Hospitalismus stellt zwar meist kein schwerwiegendes Leiden dar, dennoch muss der Patient gut beobachtet und medizinisch versorgt werden. Sollten die Symptome nach dem Verlassen der Klinik erneut auftreten, wird am besten umgehend der Hausarzt informiert.
Behandlung & Therapie
Um verschiedene Formen des Hospitalismus erfolgreich bekämpfen zu können, besteht eine erste wichtige Verhaltensmaßnahme vor allem darin, die äußeren Umstände den Bedürfnissen eines Betroffenen anzupassen. Ob eine solche Veränderung im bisherigen Umfeld möglich ist oder ob der Wechsel in eine alternative Umgebung sinnvoll ist, hängt dabei vom Einzelfall ab. Häufig tragen entsprechende Verbesserungen im Umfeld des Betroffenen zum Heilungsprozess verschiedener Symptome bei. Dabei gilt in der Regel, dass die Behandlungserfolge bei Hospitalismus umso besser sind, je frühzeitiger notwendige Interventionen stattfinden.
Therapiemaßnahmen, die in einem zweiten Schritt erfolgen, hängen ab von den vorliegenden Symptomen bei Hospitalismus: Aufgetretenen körperlichen Schäden und/oder Funktionsbeeinträchtigungen ist individuell beispielsweise medikamentös oder durch krankengymnastische Maßnahmen zu begegnen. Psychische Beeinträchtigungen im Rahmen des Hospitalismus können unter anderem positiv beeinflusst werden durch konsequente Ansprache und Beschäftigung eines Betroffenen sowie der Gestaltung eines anregenden Umfelds (beispielsweise durch Farben, Bilder, Texte oder Klänge in Form von Radio, Büchern oder Fernsehen).
Haben sich aufgrund längerfristiger Vernachlässigung schwerwiegende Beschwerden im Rahmen eines psychischen Hospitalismus eingestellt, so können außerdem längerfristige psychotherapeutische Maßnahmen notwendig sein.
Aussicht & Prognose
Die Genesung vom Hospitalismus in seinen psychischen Ausprägungen hängt stark von der Dauer der Hospitalisierung sowie vom Alter des betroffenen Patienten ab. Eine kurzzeitige Deprivation kann zwar auch schon Symptome des Hospitalismus auslösen, meistens verschwinden diese aber schneller als nach einem langen Aufenthalt im Krankenhaus oder einer ähnlichen Einrichtung.
Erwachsene Patienten sind außerdem resilienter, während Kinder und insbesondere Kleinkinder sowie Säuglinge empfindliche psychische Schäden davontragen können. Heutzutage wird glücklicherweise sehr darauf geachtet, gerade jungen Patienten den regelmäßigen und intensiven Kontakt zu ihren Eltern zu ermöglichen und ihnen auch durch das Pflegepersonal die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie brauchen, um die Symptome des Hospitalismus von vornherein gering zu halten.
Besonders lange Heilungsverläufe haben Fälle von Hospitalismus, die mit Missbrauch in Verbindung stehen. Hierbei handelt es sich häufig um Kriminalfälle, bei denen der Betroffene lange Zeit isoliert eingesperrt war. In diesen Fällen kann sich der Hospitalismus zum Kaspar-Hauser-Syndrom steigern, die als schwerste Form des Hospitalismus gilt. Die körperliche Ausprägung des Hospitalismus, die nosokomiale Infektion, ist eine ernst zu nehmende Komplikation. Bei der Infektion mit Krankenhauskeimen helfen in der Regel keine Antibiotika mehr, sodass das Immunsystem des Patienten selbst mit der Infektion zurechtkommen muss. Derartige Infektionen enden bei schlechtem Gesundheitszustand nicht selten tödlich.
Vorbeugung
Vorgebeugt werden kann dem Hospitalismus häufig durch eine bedürfnisorientierte Fürsorge bzw. Pflege Schutzbefohlener. Einer Entwicklung von psychischem Hospitalismus bei Säuglingen beispielsweise, die medizinisch bedingt nach der Geburt längere Zeiten im Krankenhaus verbringen müssen, kann oft vorgebeugt werden durch frühzeitigen und regelmäßigen Körperkontakt mit den Bezugspersonen. Präventiv gegen psychischen Hospitalismus wirkt oft ein anregendes und wertschätzendes Umfeld.
Nachsorge
Bei Hospitalismus hängt die Nachsorge davon ab, wie schwer das Leiden ausgeprägt ist. Ein leichter Hospitalismus klingt meist von selbst wieder ab, sobald der Patient die notwendige Zuneigung erfährt. Nach einigen Tagen bis Wochen sollte noch einmal der Hausarzt konsultiert werden. Der Mediziner kann eine körperliche Untersuchung vornehmen und gegebenenfalls ein geeignetes Medikament verordnen.
Bei einem schweren Hospitalismus ist zumeist eine therapeutische Behandlung vonnöten. Nach Abschluss der Therapie muss der Patient auf einen aktiven, ausgefüllten Lebensstil achten. Da oftmals eine Angst vor Krankenhäusern besteht, müssen geeignete Alternativen gesucht werden. Vor einem erneuten Krankenhausaufenthalt sollte der Betroffene mit dem Therapeuten sprechen. Eventuell ist die Einnahme von Beruhigungsmitteln oder Antidepressiva vonnöten.
Betroffene Kleinkinder müssen dauerhaft mütterliche Zuwendung erfahren. Dies gelingt, indem das erkrankte Kind in eine Pflegefamilie gegeben wird oder die Eltern im Rahmen einer Mutter-Kind-Therapie ein inniges Verhältnis zu dem Kind aufbauen. Der Hospitalismus tritt heutzutage nur noch selten auf, weshalb eine gezielte Therapie immer im Hinblick auf die jeweiligen körperlichen, geistigen und seelischen Beschwerden erfolgen muss. Bei einem schweren Hospitalismus ist unter Umständen die Unterbringung in einer fachlichen Einrichtung vonnöten.
Das können Sie selbst tun
Zur Behandlung eines Hospitalismus müssen zunächst die äußeren Umstände des Betroffenen angepasst werden. Nach Möglichkeit sollte der Patient in eine geeignetere Unterkunft verlegt werden und muss dort individuell und im Bezug auf seine Bedürfnisse betreut werden. Begleitend dazu sind die entstehenden psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen zu behandeln. Welche Maßnahmen im Detail ergriffen werden müssen, hängt ganz von den jeweiligen Beschwerden ab.
Zumeist wird Krankengymnastik empfohlen, denn körperliche Bewegung ist ein wichtiges therapeutisches Mittel. Psychische Beschwerden werden begleitend zur therapeutischen Behandlung auch durch regelmäßiges Beschäftigen mit dem Betroffenen gelindert. Tägliche Gespräche sowie das Ausüben von Hobbys oder der bloße Kontakt mit Freunden und Familienangehörigen können einen Hospitalismus bereits erheblich lindern. Das Umfeld des Patienten sollte ansprechend gestaltet werden, sei es durch Bilder, Farben oder Klänge in Form von Radio, Büchern, Fernsehen oder anderen Beschäftigungsmöglichkeiten.
Sollte der Hospitalismus nach dem Verlassen der Klinik oder des Pflegeheims auftreten, benötigt der Betroffene ebenfalls Fürsorge und Pflege. In weniger schweren Fällen bildet sich der Hospitalismus von alleine zurück und der Patient ist nach einigen Wochen bis Monaten wieder fit. In jedem Fall muss ein Arzt über die Beschwerden informiert werden.